Biomimetische Materialentwicklung für den Knochenersatz

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Abstract

Aus der Sicht von Klinikern – Orthopäden und Unfallchirurgen – besteht ein großer Bedarf an degra¬dierbaren Knochenersatzmaterialien für den osteoporotischen und den krebskranken Knochen. Fraktu¬ren am Oberschenkelhals oder auch der Wirbelsäule heilen bei diesen systemischen Erkrankungen gar nicht oder nur sehr langsam. Frakturen des gesunden Knochens heilen ins¬besondere bei älteren Patienten schwer, wenn große Defektbereiche vorhanden sind. Gilt bei einem ge¬sunden Patienten ein Defekt von etwa 1,5 – 2 cm als überkritisch und bedarf somit der Versorgung mit einem Knochen¬ersatz¬material, so kann bei einem älteren oder erkrankten Menschen bereits eine Spalt¬breite von mehr als 3 mm problematisch sein. Der Sonderforschungsbereich Transregio 79 mit dem Thema 'Werkstoffe für die Geweberegeneration im systemisch erkrankten Knochen' hat sich dieses Problems angenommen und will es ätiologiebasiert durch die Verbindung von Erkenntnissen und Charakterisierungs-methoden aus Werkstoffwissenschaft, Biologie und Medizin lösen. Die vorliegende Dissertation wurde im Rahmen dieses Vorhabens und in der Gruppe Biomimetische Materialien und Biomaterialanalytik des Instituts für Werkstoffwissenschaft, Professur Biomaterialien, der Technischen Universität Dresden erarbeitet. Sie beschäftigt sich vorrangig mit der Entwicklung von Knochenersatz¬material für den gesunden sowie den osteoporotischen Knochen. Der Arbeitshypothese folgend, dass die Defekt-/Frakturheilung im osteoporotischen Knochen durch Knochenersatzmaterial bestehend aus Calcium-/Strontiumphosphaten verbessert werden kann, soll die Ionenfreisetzung durch geeignete Kristallstrukturen gezielt eingestellt werden, um den Knochenwiederaufbau direkt über die Osteo¬blastenaktivität oder indirekt über die Cytokinausschüttung der Osteoklasten zu stimulieren. Für die Materialentwicklung sind eine hinreichende Kenntnisse über die Struktur und den Aufbau des Knochens, über die Mineralisation und die Zellbiologie des Knochens einschließlich des Immunsystems notwendig. Zu Beginn der Arbeit war es deshalb notwendig, diesen Kenntnisstand zur Mineralbildung im Knochen zu vertiefen. Eine intensive Zusammenarbeit mit Projekten innerhalb des Transregio 79, die sich der Strukturaufklärung und der Zellbiologie des Knochens widmen beziehungsweise die Tierexperimente durchführen, war daher erforderlich. Diese Verknüpfung erfordert eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Frakturheilung, um interdisziplinär erfolgreich wirken zu können. Im Verlauf der Materialentwicklung erwies es sich als vorteilhaft, auch im eigenen Labor Zellkultur¬untersuchungen durchzuführen. Sie ermöglichten eine schnellere Umsetzung von Erkenntnissen der Zell¬reaktion in die Materialkonzeption. Aus werkstoffwissenschaftlicher Sicht ist der Knochen ein durch die Evolution geprägtes und hinsicht¬lich seiner mechanischen und biologischen Eigenschaften herausragend aufgebautes Verbundmaterial, das aus organischen und anorganisch nichtmetallischen Komponenten besteht und hierarchisch strukturiert ist. Kollagen I und Hydroxylapatit sind seine Hauptbestandteile. Daneben gibt es aber eine Reihe von Calciumphosphatstrukturen und Spuren von Fremdionen sowie nichtkollagenen Proteinen, deren Wirkung im Zuge der Mineralisation bisher kaum verstanden wird. Die zeitliche Abfolge, die Vielzahl an beteiligten Komponenten und die zelluläre Steuerung ergeben eine umfangreiche Parametervielfalt, die sich zum Teil durch Kompensationsmechanismen einer definitiven Ursachen-Wirkungs-Beschreibung entziehen. Eine Auseinandersetzung mit dem Knochenaufbau ist jedoch essen¬tiell für die Orientierung am natürlichen Vorbild. Zudem bedarf es der Kenntnis des zellulären Verhal¬tens auf extrazelluläre Einflüsse, um die Biomaterialcharakterisierung und eine geeignete Material¬modifizierung zu vollziehen. Deshalb wird im Stand des Wissens im nachfolgenden Kapitel zunächst auf die Struktur und den Aufbau des Knochens eingegangen, ehe auf die Besonderheiten der Mineralisation Bezug genommen wird. Letztere erfolgt nicht nach dem Prinzip der klassischen Mineralisation. Stattdessen liegen im Knochen Nanokristallite vor, die mithilfe organischer Moleküle zu sogenannten mesoskopischen Partikeln zusammengeführt werden. Die Kristallisation wird auf diesem Weg unabhängiger von Ionenprodukten und kann ohne Änderungen von pH-Werten stattfinden. Eine Schlüs¬sel¬position bei dieser Mineralisation nehmen strukturdirigierende Moleküle ein. Es ist bisher unklar geblieben, welche strukturdirigierenden Moleküle in welcher Reihenfolge oder auch gemeinsam im Knochen wirken und welches Molekül den Mineralisationsprozess einleitet und wie es mit den Haupt-komponenten des Knochens in Wechselwirkung steht. Das Materialkonzept sah daher von Beginn an vor, knochennahe Komponenten wie Kollagen Typ I und Calciumphosphatphasen als Grund¬bestandteile für den Knochenersatz zu verwenden, aber auch das nicht¬kollagene Protein Osteocalcin beziehungs¬weise Asparaginsäure als dessen Modellsubstanz werden als mögliche strukturdirigierende Moleküle mit einbezogen. Aufbauend auf dem gegenwärtigen Stand des Wissens wurde auch Strontium als Fremdion, wegen seiner bekannten positiven Wirkung auf den osteoporotischen Knochen, mit in das Konzept eingebunden. Weil bei einer Einführung in die medizinische Praxis auch ökonomische Gesichtspunkte eine wichtige Rolle spielen, war es naheliegend, statt Tropokollagen und Kollagen¬fibrillen auch Gela¬tine als organische Hauptkomponente zu verwenden. Die Forschung an einem temporären Knochenersatz für die Behandlung überkritischer Defekte und Frakturen durch ein degradierbares Biomaterial erfordert die Anregung der Knochenneubildung und gegebenenfalls die Einbindung in den Remodellierungsprozess, was einerseits von der biologisch medizinischen Seite, andererseits aber von der Seite der Handhabbarkeit im operativen Einsatz zu beur¬teilen ist. Beiderseits sind werkstoffwissenschaftliche Untersuchungen und Beschreibungen der Struktur sowie des Gefüges und die Herstellung einer Beziehung zu den daraus resultierenden Eigenschaften erforderlich. Auf dieser Basis wird aus der Materialforschung der technisch anwendbare Werkstoff. Im Anschluss an den Stand des Wissens werden die Ergebnisse zur Knochenuntersuchung, ebenso wie die der verschiedenen Mineralisationsmethoden aufgeführt und jeweils in den darauffolgenden Kapiteln diskutiert, um die Weiterentwicklung der Biomaterialsynthese zu erläutern. Das daraus resultierende Materialkonzept wird ausführlich in vitro charakterisiert und die Materialauswahl für den ersten in vivo Einsatz im Rahmen des Transregio 79 im osteoporotischen Rattenmodell erörtert. Die abschließende Zusammenfassung führt die Teilerkenntnisse zusammen und ermöglicht einen Ausblick für die weitere Materialentwicklung auf der Basis biomimetisch mineralisierter organischer Makromoleküle.

Details

Original languageGerman
Qualification levelDr.-Ing.
Awarding Institution
Defense Date (Date of certificate)13 Sept 2017
Publication statusPublished - 2017
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Keywords

Keywords

  • Biomaterial, Degradation, Knochenregeneration, Calcium-/Strontiumphosphate