Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus – Untersuchung der Versorgungssituation anhand von Krankenkassenroutinedaten
Publikation: Hochschulschrift/Abschlussarbeit › Dissertation
Abstract
Schätzungsweise sind in Deutschland derzeit etwa 1,5 Millionen Menschen von Demenz betroffen. Insbesondere die Akutkrankenhäuser sind nur bedingt auf eine adäquate Versorgung von\nMenschen mit Demenz ausgerichtet. Der prognostizierte Anstieg von älteren Patienten mit Demenz wird die Akutkrankenhäuser zukünftig vor weitere organisatorische, personelle und finanzielle Herausforderungen stellen. Um die Versorgung von Menschen mit Demenz zu verbessern\nund sie der steigenden Anzahl von Betroffenen anzupassen, sind detaillierte Informationen zur\nPrävalenz und zur Versorgungssituation von Demenz unverzichtbar. Zielstellung der vorliegenden\nDissertation ist es daher, (1) die kleinräumige, administrative Prävalenz der Demenz in Sachsen\nzu ermitteln (2) die Prävalenz der Demenz im Krankenhaus abzuschätzen, (3) die Häufigkeit und\nDeterminanten von Krankenhauseinweisungen umfassend zu untersuchen, sowie (4) weitere\nausgewählte Aspekte der akutstationären Versorgungssituation, wie die Verweildauer, die Kosten und die Inanspruchnahmen im Krankenhaus, zu analysieren.\n\nAls Material der Untersuchung wurden anonymisierte Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung AOK PLUS für das Bundesland Sachsen im Untersuchungsjahr 2014 ausgewertet. Die AOK PLUS ist der mit Abstand häufigste Krankenversicherer in Sachsen und deckt ca. 53 % der über 65-jährigen Bevölkerung Sachsens ab. Für die Fallidentifikation der Demenz wurden stationäre und ambulante Diagnosen herangezogen. Eine Demenz lag vor, wenn in mindestens 3 von\n4 Quartalen eine Demenzdiagnose identifiziert werden konnte (n = 61.700 Personen). Die Kontrollgruppe, welche diejenigen Versicherten ohne eine Demenzdiagnose umfasste, wurde nach\nAlter, Geschlecht und Wohnort in einem Verhältnis von 1:3 zufällig ausgewählt. Um auch Personen zu berücksichtigen, die im Jahr 2014 verstarben oder aus der Versicherung austraten, wurde\nbei der Auswahl der Kontrollgruppe zwischen durchgängig und nicht-durchgängig Versicherten\nunterschieden.\nDie Ein-Jahres-Prävalenz wurde für das Jahr 2014 berechnet und nach Alter und Geschlecht\nstandardisiert. Die Projektion der Fallzahlen bis zum Jahr 2060 erfolgte auf Grundlage amtlicher\nBevölkerungsvorausberechnungen. Die Hochrechnung der Prävalenz der Demenz im Krankenhaus wurde auf Basis der hochgerechneten Fallzahlen und Informationen zur durchschnittlichen\nVerweildauer berechnet. Die Analyse der akutstationären Versorgungssituation beruhte auf\nn = 61.239 Personen mit Demenz und n = 183.477 Kontrollen. Um die Unterschiede zwischen\nden Gruppen in den Einweisungsraten für das Jahr 2014 zu untersuchen, wurden Hürdenmodelle\nverwendet. Als Kontrollvariablen wurden das Geschlecht, Alter und der Charlson-KomorbiditätsIndex genutzt.\n\nErgebnisse: (1) Es wurde eine administrative Prävalenz der Demenz der über 65-Jährigen von 9,3 % ermittelt (95 % Konfidenzintervall [KI] 9,2 – 9,4 %). Schätzungsweise hatten im Jahre 2014 sachsenweit etwa 93.500 Personen der über 65-Jährigen eine Demenz. Bis zum Jahr 2030 ist mit einem relativen Anstieg der Betroffenen um 24 % auf 116.200 Personen zu rechnen.\n(2) Die hochgerechnete Prävalenz der Demenz im Krankenhaus betrug bei den über 65-jährigen\nPatienten 16,7 %.\n(3) Menschen mit Demenz hatten um 33 % mehr Krankenhauseinweisungen je Personenjahr, als\ndiejenigen ohne Demenz (0,8 vs. 0,6 Einweisungen je Personenjahr). Die Chance für mindestens\neine Einweisung im Jahr 2014 war für Personen mit Demenz 1,49-mal größer als für Personen\nohne Demenz (Odds Ratio [OR] = 1,49 KI 1,46 – 1,52). Die Anzahl von Wiedereinweisungen war\nfür Menschen mit Demenz um 18 % höher (Risk Ratio [RR] = 1,18 KI 1,15 – 1,20). Im Vergleich\nder Personen mit und ohne Demenz zeigte sich, dass diejenigen mit Demenz eine höhere Chance\nfür mindestens eine Einweisung sowie ein höheres Risiko für Wiedereinweisungen hatten, wenn\nsie eine Pflegestufe besaßen und außerhalb einer Großstadt lebten. Weiterhin war die stationäre\nHaupt- oder Nebendiagnose Diabetes mellitus (OR = 1,56 KI 1,52 – 1,60) und Hypertonie (OR =\n1,33 KI 1,30 – 1,35) mit einer besonders hohen Wahrscheinlichkeit für mindestens eine Einweisung verbunden. Ein höheres Risiko für Wiedereinweisungen wurde unter anderem für die Arthrose (RR = 1,24 KI 1,06 – 1,46) und Herzrhythmusstörungen (RR = 1,18 KI 1,13 – 1,23) identifiziert. Die Diagnose Krebs war für Personen mit Demenz hingegen mit einer geringeren Chance\nfür mindestens eine Einweisung und Wiedereinweisungsrisiken verbunden, als für Personen mit Demenz (OR = 0,69 KI 0,66 – 0,72; RR = 0,82 KI 0,77 – 0,88). Bezüglich der Dauer der Demenzdiagnose zeigte sich, dass Personen mit einer erst kürzlich festgestellten Demenzdiagnose (0 bis 2 Jahre) eine höhere Chance für mindestens eine Einweisung (OR: 1,61 KI 1,53 – 1,68) sowie\nein höheres Risiko für Wiedereinweisungen (RR: 1,33 KI 1,27 – 1,39) aufwiesen als Personen mit\neiner Demenzdiagnose, welche länger als 6 Jahre zurücklag.\n(4) Menschen mit Demenz wiesen eine um 36 % länger Pro-Kopf-Verweildauer je Jahr auf als\ndiejenigen ohne Demenz (6,8 vs. 5,0 Tage). Im Vergleich der einzelnen Krankenhausaufenthalte\n(Fallebene) zeigte sich jedoch kaum ein Unterschied zwischen den Patienten mit und ohne Demenz (8,5 vs. 8,4 Tage). Die längere Pro-Kopf-Verweildauer je Jahr lässt sich somit überwiegend\nauf die häufigere Einweisungshäufigkeit von Personen mit Demenz zurückführen. Auch die um\n18% höheren jährlichen Pro-Kopf-Kosten lassen sich ebenfalls auf die höhere Einweisungshäufigkeit der Personen mit Demenz zurückführen.\nObwohl Patienten mit Demenz einen ähnlichen Charlson-Komorbiditäts-Index des Vorjahres aufwiesen (2013), erhielten sie je Krankenhausaufenthalt (Fallebene), mit Ausnahme der „Ergänzenden Leistungen“, weniger diagnostische und therapeutische Leistungen als die Vergleichsgruppe.\nWeitere Ergebnisse der Untersuchung unterstreichen die höhere Vulnerabilität der Patienten mit Demenz hinsichtlich ihrer Sturzneigung und motorischer Einschränkungen. Weiterhin wurde aufgezeigt, dass Patienten mit Demenz häufiger ein Delir je Krankenhausaufenthalt hatten als Patienten ohne Demenz (7 % vs. 2 %).\n\nSchlussfolgerungen: Patienten mit Demenz werden häufiger in das Akutkrankenhaus eingewiesen und weisen einen spezifischen Versorgungsbedarf auf, welcher sich – im Vergleich zu Patienten ohne Demenz – eher durch pflegerische und betreuende Bedarfe als durch therapeutische und diagnostische Bedarfe charakterisieren lässt. Weiterhin geben die Ergebnisse Hinweise auf eine schlechtere Versorgungslage von Menschen mit Demenz. Zukünftig sind daher Verbesserungen in der Versorgung von Menschen mit Demenz notwendig, um auf diese Weise die Versorgungslage der Betroffenen zu verbessern, den Herausforderungen für die Akutkrankenhäuser zu begegnen und die\nBelastungen für die sozialen Sicherungssysteme zu reduzieren. Ein wesentliches Handlungsfeld\nzur Verbesserung der Versorgungslage stellt dabei die demenzsensible Ausrichtung der Akutkrankenhäuser dar. Um insbesondere die Anzahl von Krankenhauseinweisungen zu reduzieren\nsind daneben auch weitere Maßnahmen in anderen Handlungsfeldern wünschenswert: die Hausund Fachärzte, die Ambulante und Stationäre Pflege sowie die Wohnung und das Wohnumfeld\nder Betroffenen.
Details
Originalsprache | Deutsch |
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Gradverleihende Hochschule | |
Betreuer:in / Berater:in |
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Publikationsstatus | Veröffentlicht - 2018 |
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Schlagworte
Schlagwörter
- Demenz, Prävalenz, Akutkrankenhaus